Tag der Befreiung9 Minuten Lesezeit

Am 06. Mai versammelten sich knapp 200 Antifaschist*innen vor dem Curiohaus an der Rothenbaumchaussee für eine Demonstration anlässlich des 78. Jahrestags der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und der Zerschlagung des NS-Regimes am 8. Mai. In der Geschichte der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und vieler anderer Minderheiten und politischen Gegner*innen spielte Hamburg mit seinem Hafen und Bahnhöfen eine wichtige Rolle bezüglich der Fluchtmöglichkeiten der NS-Opfer aber auch der systematischen Deportation und Ermordung durch Gestapo, SS und Wehrmacht. Das Gebäude des Curiohauses stellt dabei als Beginn der Demonstration einen historisch relevanten Ort dar, in diesem Gebäude wurden unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Nachkriegsprozesse zur Verurteilung von NS-Täter*innen geführt.

Bild: Esther Erök


Im Curiohaus wurde der KZ-Neuengamme-Hauptprozess, der Prozess um die Ermordung von 20 Kindern im Nebenlager Bullenhuser Damm, sieben Prozesse um das KZ-Ravensbrück, sowie eins um das KZ-Bergen-Belsen unter der Führung eines britischen Militärgerichts abgehalten. Bei den Verhandlungen standen über 500 NS-Täter*innen vor Gericht und es wurden 267 Haftstrafen und 102 Todesurteile gefällt. Trotz der vielen Nachkriegsprozesse konnte nur ein kleiner Anteil der NS-Verbrecher*innen zur Rechenschaft gezogen werden und es erfolgte bis in die Gegenwart in vielen Fällen keine konsequente Strafverfolgung, trotz der von den Alliierten beschlossenen Entnazifizierung, die jedoch nicht zu Ende geführt wurde. Die Hamburger Gestapo war maßgeblich an der Deportation sowie Beschlagnahmung und Versteigerung des Besitzes von Jüdinnen*Juden beteiligt. Ihr Hauptquartier hatte die Gestapo damals im Hamburger Stadthaus.


VVN-BdA-Mitglied Norma van der Walde sagte dazu in ihrer Rede: „Nach dem Bundesentschädigungsgesetz hätten sich die überlebenden Opfer des Nationalsozialismus direkt an die BRD wenden können, allerdings waren in der Finanzverwaltung der Nachkriegszeit genau dieselben Beamten für die Entschädigung zuständig, die in der NS-Zeit an der Enteignung mitgewirkt hatten“.

Auch die Position der jugendlichen Widerstandsbewegungen in Hamburg wurden hervorgehoben, welche sich aus bürgerlichen und kommunistischen Gruppen zusammensetzten und in einer hohen Anzahl verhaftet, gefoltert, hingerichtet und in Konzentrationslager deportiert wurden. Das Gedenken an Esther Bejarano und an ihren unermüdlichen, antifaschistischen Kampf wurde während der Demonstration mehrfach thematisiert. Auch ihr energetischer Einsatz gegen das Vergessen der NS-Verbrechen und für die Einführung des 8. Mai als Feiertag in Deutschland wurde gewürdigt.

Bild: Esther Erök


Die Demonstration zog über den Dammtor, vorbei am Kriegerdenkmal Richtung Jungfernstieg über die Großen Bleichen bis vor das ehemalige Hauptquartier der Hamburger Gestapo am Stadthaus. Dort wurde über die aktuelle Situation der Gedenkstätte und dem im Jahr 2009 durch die Stadt Hamburg erfolgten Verkauf des Gebäudes an einen privaten Investor informiert. Das Stadthaus wurde seit der Sanierung und Modernisierung vor einigen Jahren für den Einzelhandel und die Gastronomie im Luxussegment kommerzialisiert. Heute verfügt es, gemessen an der großen Fläche des Gebäudes und der historischen Bedeutung im Nationalsozialismus und erst durch intensiven Nachdruck von Gedenkinitativen, lediglich über 300qm² Gedenkstätte für die durch die Gestapo verhörten, deportierten und ermordeten NS-Opfer und politischen Widerstandskämpfer*innen. Die Initiative Stadthaus kämpft seitdem für einen würdigen Gedenkort. Uli Hentschel, Mitglied der „Initiative Gedenkort Stadthaus“ erklärte dazu in seiner Rede, dass ursprünglich 1000qm² Gedenkort vom Hamburger Senat zugesagt waren und nun die deutliche Forderung nach einem sichtbaren und angemessenen Erinnerungsort ungebrochen weiter besteht. Ein würdiges Denkmal für den Widerstand gegen die Nationalsozialisten müsse eingerichtet werden.

Nach dem Niederlegen von Blumen und dem Gedenken an die Verfolgten zog die Demonstration unter musikalischer Begleitung einer kleinen Blaskapelle über den Alten Wall weiter auf den Rathausmarkt zur Endkundgebung. Hier wurden noch Lieder gesungen und Redebeiträge zu den Nürnberger Prozessen und der kollektiven Rehabilitation, systematischen Straflosigkeit, Relativierung, Revisionismus und Verharmlosung der Verbrechen von alten Nazis in der BRD gehalten.
Dazu wurde ein Zitat von Fritz Bauer, seinerzeit hessischer Generalstaatsanwalt bei den Frankfurter Auschwitzprozessen angeführt, welcher sagte: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.“ Auch die aktuellen rassistischen Terrorverbrechen des NSU, der Anschlag in Hanau und das Erstarken der AfD sowie anderer rechtsextremer Gruppierungen wurden erwähnt. Die Ursachen für diese Entwicklungen sehen die Aktivist*innen auch in den rassistischen Kontinuitäten des Sicherheitsapparats und der staatlichen Behörden der BRD. Des Weiteren wurde auf die Festveranstaltung zum Tag der Befreiung am Montag, den 8. Mai, auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz unter dem Motto „Die Hoffnung der Befreiten“ hingewiesen.

Bild: Esther Erök


Die Festveranstaltung am Montag darf nach Beschluss des Senats nicht auf dem Hamburger Rathausmarkt stattfinden, da am Montag planmäßig die Fraktionssitzungen im Rathaus tagen und die Hamburger Bürgerschaft diese nicht verschieben und auch währenddessen die sogenannte „Bannmeile“ um das Rathaus nicht aufheben wollte.

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