Klassenfest und Klassenkampf11 Minuten Lesezeit

Samstag, Sonnenschein, Seltenheit in Hamburg. Um 15 Uhr füllte sich bereits langsam der Vorplatz des S-Bahnhofs Sternschanze. Zum alljährlichen, vor dem 1. Mai stattfindenden, Klassenfest gegen Krieg und Kapital hatten wieder verschiedene revolutionär-antikapitalistische Organisationen aufgerufen und viele junge Menschen folgten an diesem sonnigen Tag dem Ruf.

Bild: Esther Zaim

Nach einer Podiumsdiskussion zu staatlicher Repression, zur Solidaritätskampagne „Notwendig“ für die Inhaftierten Antifaschist*innen Jo und Dy sowie zur Situation der politischen Inhaftierten nach dem Paragraph 129a rund um den Roten Aufbau Hamburg, begann das Fest mit einem Hip Hop Line-up und führte die Menge durch den Abend. Essens- und Getränkestände wurden von den Veranstalter*innen organisiert. Bis in die späten Abendstunden waren etwa 3000 Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz am Feiern und Protestieren. Die anwesende Polizei hielt sich dabei eher im Hintergrund, zeigte jedoch am Bahnhof und in den Zugangsstraßen Präsenz.

Bild: Esther Zaim

Mehrere Demonstrationen zum 1. Mai

Zum 1. Mai fanden in Hamburg insgesamt vier große Demonstrationen statt. Den Auftakt machte die Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes vormittags um 10:30 Uhr. Dabei versammelten sich gewerkschaftlich organisierte Verbände des DGB, Verdi, EVG, GEW und noch weitere sowie auch viele linke und sozialistische Gruppierungen. Es beteiligten sich schätzungsweise über 9000 Menschen am Protestzug von der Straßburger Straße über Friedrichsberg bis zur Endkundgebung am Bahnhof Barmbek. Inhaltlich wurden die Arbeitskämpfe der vergangenen Monate und die prekäre Situation von Arbeiter*innen durch die Inflation thematisiert.


Weiter ging es dann um 13 Uhr am Eppendorfer Baum, wo das Bündnis „Wer hat der gibt“ nach einigen Redebeiträgen über soziale Ungerechtigkeiten in der kapitalistischen Gesellschaft einen Demonstrationszug startete. Unter dem Motto „Klassensturz statt Kassensturz“ zog der Protestzug durch den Mittelweg, dem Herzstück der Hamburger Geldelite, umgeben von Gründerzeitvillen und Prestige- Immobilien in Harvestehude/Rotherbaum. Aus den Fenstern und Balkonen des Reichenviertels in Pöseldorf wurden dem Protestzug teilweise herablassende und beleidigende Kommentare zugerufen und Mittelfinger gezeigt, welche durch entschlossene und starke Sprechchöre der Demonstrant*innen, wie beispielsweise „Wir enteignen euch alle!“ beantwortet wurden. Besonders eindrücklich war die Rede eines migrantischen Amazon-Mitarbeiters, der die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse, miserable und unfaire Bezahlung an Amazon-Standorten und Logistikzentren stark kritisierte.


Auf der Demonstration kamen verschiedene linke Bündnisse in diversen Blöcken zusammen und betonten Themen wie Enteignung, Umverteilung, Klimaschutz und die gesellschaftlichen Kämpfe angesichts aktueller Krisen. Der Aufzug wurde von Anfang an von einem überproportionalen Polizeiaufgebot begleitet. Die Polizei kesselte fast eine Stunde den revolutionären Jugendblock, wodurch das Vorankommen der Demonstration massiv behindert wurde. Grund für das Kesseln des Blocks war der Vorwurf der Vermummung, nur FFP2-Masken seien erlaubt. Als dieser Forderung nachgekommen wurde, durfte die Demonstration willkürlicher Weise trotzdem nicht weiterlaufen. Der Kessel wurde nach einem langen Zeitraum von der Polizei geöffnet und die Demonstrant*innen durften den Demonstrationszug verlassen. Nach geraumer Zeit und kurzen Zwischenkundgebungen löste sich die Demo um ca. 16 Uhr am Bahnhof Dammtor auf.

Bild: Esther Zaim


Um 16 Uhr formierten sich bereits einige Tausend Demonstrant*innen am Hauptbahnhof, diesmal zur „revolutionären roten Demo“ organisiert durch verschiedene sozialistisch-revolutionäre Gruppen. Dabei wurde der Start von der Polizei lange verzögert, da behauptet wurde, dass die Polizei durch Parolen provoziert wurde. Sie plante daher den Demonstrationszug eng und distanzlos zu begleiten.
Nach einigen Diskussionen zwischen Einsatzleitung der Polizei und den Ordner*innen der diversen Organisationen setzte sich die Demonstration um 17 Uhr Richtung Steindamm in Bewegung. An dem lautstarken Demozug beteiligten sich über 3000 Protestierende. Vereinzelt gab es antikurdische und faschistische Zwischenrufe von Passant*innen, welche durch Ordner*innen und Demoteilnehmer*innen konsequent unterbunden wurden. Der Protest richtete sich gegen „Krise, Krieg, Kapital und staatliche Repression“ und zog vom Hauptbahnhof über St. Georg und Wartenau bis nach Barmbek. Abschließend waren die 1. Mai Proteste in der Hamburger Innenstadt bis auf einige Schikanen der Polizei sehr erfolgreich zu werten.

Gänzlich anders ist es bei der anarchistischen Demonstration am Hagenbecks Tierpark verlaufen. Die Demonstration durfte nicht starten und wurde zeitweise gekesselt. Grund dafür seien Vermummung und Banner mit polizeifeindlichen Parolen. Das Versammlungsrecht wurde hier massiv eingeschränkt, weshalb sich zahlreiche Gruppen und auch die Organisator*innen der anderen Demonstrationen zum 1. Mai mit der, von der massiven Repression betroffenen, anarchistischen Demonstration solidarisierten.

Die Machtdemonstration und Schikane der Polizei begleitete die gesamte Zeit die Demonstrierenden mit behelmten Hundertschaften, bedrohlich positionierten Wasserwerfen am Rande des Demozugs und der ununterbrochen Luftüberwachung mit Helikoptern. Im Innenstadtgebiet um den Bahnhof Schlump kam es es in den Abendstunden zu massiver Polizeigewalt und Repression gegen Demonstrant*innen. Dabei wurde ein 19-jähriger Demonstrant von der Polizei umgerannt und so stark verletzt, dass er intensivmedizinisch behandelt werden musste und kurzzeitig in Lebensgefahr schwebte. Der freie Journalist Jannis Große hat für t-online mit dem Betroffenen gesprochen. „Diese Gewalt, die ich erlebt habe, zeigt mir nur eins: wie wichtig es ist, sich für die Freiheit einzusetzen, seine Meinung offen äußern zu können“, so der Betroffene im Artikel bei t-online.
Die Hamburger Polizei steht regelmäßig wegen Einschränkungen des Versammlungsrechts und massiver Polizeigewalt in der Kritik.

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