Seit Mittwoch, dem 30. November, wird in Jena der Hörsaal 1 der Friedrich-Schiller-Universität besetzt. Grund dafür ist das Ende des in Deutschland einzigartigen Lehrstuhls „Geschlechtergeschichte“.
Vor der der Besetzung hatte eine Kundgebung auf dem Campus stattgefunden, an der sich 200 Menschen beteiligten. Diese sind dann gemeinsam in den Hörsaal, um diesen zu besetzen. Der Zeitraum der Besetzung wurde extra so gewählt, dass in der Zeit keine Vorlesung stattfand.

Mit der Besetzung wurde nun zum ersten Mal ein Raum eröffnet, um über den Erhalt des Lehrstuhls zu sprechen. Aber was genau ist Geschlechtergeschichte eigentlich?
Geschlechtergeschichte beschäftigt sich allgemein mit Geschichte, aber nicht aus der männlichen Perspektive. An anderen Universitäten gäbe es diesen Lehrstuhl unter dem Namen „FrauenGeschichte“, an der Universität Jena wird allerdings inklusiver gedacht. Im Allgemeinen liegt der geschichtliche Fokus auf der männlichen Perspektive. Geschichte wie wir sie in der Schule lernen behandelt fast ausschließlich männliche Akteure und nur wenige Frauen und queere Personen. Das Fach Geschlechtergeschichte zeigt die Geschichte mit Blick auf die Geschlechter. Es werden nicht einfach Ereignisse aus der Historie durchgegangen, der Blickwinkel fällt vielmehr darauf, welche Rolle Geschlecht als Konstrukt bei diesen Ereignissen spielte.

Die Studierenden im Hörsaal fordern außerdem, gegen den Rechtsruck Stellung zu beziehen und der AfD nicht nachzugeben. Die AfD hatten vor einigen Jahren die Schließung des Lehrstuhls gefordert. Das Einsparen von Geschlechtergeschichte spielt den Rechten also sehr in die Karten.
Der Rechtsruck in Thüringen zeigt sich auch durch die Zusammenarbeit der CDU mit der extrem rechten AfD. Erst kürzlich hatten beiden Parteien gemeinsam für einen Antrag der CDU-Fraktion gegen das Verwenden geschlechtergerechter Sprache gestimmt. Die Universität Jena hat dazu bereits ein öffentliches Statement veröffentlicht, indem sie sich für die geschlechtergerechte Sprache positionierten. Man würde diese weiterhin verwenden.



Auch im Alltag der Studierenden machen sich rechte Strukturen bemerkbar. Beim „Markt der Möglichkeiten“ gab es einen Stand der Gruppe „Studenten stehen auf“, die der AfD nahe steht und regelmäßig montags an rechten Demonstrationen teilnimmt. Der Studentenrat hat sie allerdings schnell des Platzes verwiesen, mit Verweis auf einen Beschluss, der die Teilnahme von Burschenschaften und AfD-nahen Gruppierungen verbietet. Besonders bemerkbar werden Studentenverbindungen und Burschenschaften im Wohnungsmarkt für Studierende, diese würden im Studienalltag wohl nicht großartig auffallen, machen sich jedoch im Stadtbild bemerkbar.
Gerade in Bars oder als Gruppe in der Stadt geben sie sich als Burschenschafter zu erkennen, was für viele linke oder marginalisierte Gruppen aufgrund von diskriminierender Äußerungen der Burschenschaftler einschüchternd wirkt.

Die Studierenden bewegen noch weitere wichtige Punkte. Sie wollen mehr Mitbestimmungsrecht an ihrer Universität, um Lernen und Lehren mitgestalten zu können. Eine Demokratisierung des Unialltags soll dem Ignorieren der Stimmen der Studierenden entgegenwirken. Die Abschaffung der Geschlechtergeschichte sei ein Paradebeispiel für die fehlende Zusammenarbeit zwischen Präsidium und Studienrat. Die Studierenden wollen lernen, dürfen aber nicht. Das, was sie lernen sollen, geschieht unter enormem Zeit- und Leistungsdruck.
Eigentlich besteht die Aufgabe des Studienrats darin, den Alltag der Studierenden mitzubestimmen und zu gestallten. Bis dato werden Beschlüsse des Rates kaum bis gar nicht angenommen oder berücksichtigt. Der Rat sei jedoch die einzige Möglichkeit, sich an der Universität einzubringen. Wenn dieser allerdings nicht wahrgenommen wird, macht das den Studienalltag eher schwieriger als leichter.

Während der Besetzung ist der Hörsaal weiterhin offen für alle, die etwas lehren und lernen wollen. Es gibt ein breites Programm über die Tage hinweg. So kommen teilweise Referent*innen für Vorträge extra angereist. Am Sonntag fand zum Beispiel ein Input von Ende Gelände zur Besetzung Lützeraths statt.
Außerdem wurden verschiedene Diskussionsrunden, zum Beispiel zum Thema „Allgemeine Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung“, durchgeführt. Jeden Abend öffnet die Küche für alle (KüFa) ihre Kessel. Im Anschluss gibt es ein Abendprogramm mit einem Film oder einem Spieleabend.
Platz für Neues ist hier immer, denn die Besetzung bietet Raum für Selbstorganisierung. Das Programm wird durch eine Arbeitsgruppe organisiert. Teilweise finden Veranstaltungen, die eigentlich in anderen Räumen stattfinden sollten, nun im Hörsaal 1 statt, um so ein breiteres Publikum zu generieren. Die Besetzung organisiert sich Vorort basisdemokratisch in einem Plenum, das jeden Morgen stattfindet, in dem die nächsten Tage besprochen und geplant werden.




Die Besetzer*innen positionieren sich außerdem gegen die primäre ökonomische Situation von Studierenden, für genug Bafög für alle und Tarifverträge von studentisch Beschäftigten. An der Universität arbeitende Studierende gelten nicht als Mitarbeiter*innen, was sie nicht in den Mindestlohn einschließt.
Sollten sie doch einen Tarifvertrag bekommen, ist dieser meistens nach 3 Monaten wieder vorbei. Die Organisation „TV-STUD“ setzt sich für eine faire Behandlung von Studierenden als gleichberechtigte Mitarbeiter*innen ein. Die aktuelle finanzielle Lage macht es für Studierende nicht grade leicht, den Alltag zu bestreiten. Studiengebühren, der Wohnungsmarkt und die Preiserhöhungen sorgen für ein steigende Anzahl von Studierenden, die von Armut betroffen sind. Eine faire Behandlung sei hier also umso wichtiger, da studieren sonst bald nur noch für finanziell privilegierte Menschen möglich sei.

Für den Zeitraum der Besetzung finden im Hörsaal keine weiteren Vorlesungen statt. Die Studierenden essen, wohnen und schlafen hier und begehen von hier aus auch ihren gewöhnlichen Studiumsalltag. Einige Menschen müssen zusätzlich dazu arbeiten, aber zu jeder Zeit sind Menschen vor Ort.
Einige Vorlesungen fallen durch die Besetzung aus. Wie jede Person ihren Studienalltag gestaltet und wie viel in die Besetzung gesteckt wird, entscheiden sie einzeln nach den eigenen Kapazitäten. Die Studierenden und die Fakultät teilen die Empörung darüber, dass immer mehr Gelder gekürzt werden, wodurch ganze Lehrstühle eingespart werden müssen. Während in den Ausbau der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Millionen Euro gesteckt werde, würden in der Bildung und Wissenschaft überall Gelder fehlen.
Angst vor einer Räumung hätten die 20-30 Besetzer*innen nicht. Die Besetzung sei vorerst geduldet.Man wolle mit den Studierenden zuerst ins Gespräch kommen. Ein Ende der Besetzung ist damit vorerst nicht ersichtlich, aber dafür werden weitere Gespräche mit dem Präsidium der Universität folgen. Nachdem das letzte Gespräch aus Sicht der Studierenden sehr angenehm und höflich verlaufen sei, versuche man nun Wege zu finden, den Lehrstuhl zu erhalten und den rechtlichen Forderungen gerecht zu werden.