Gedenken an das Pogrom – Lichtenhagen 199211 Minuten Lesezeit

Am 27. August zogen tausende Menschen im Gedenken an das rassistische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren durch Rostock. Sie gingen unter dem Motto „Erinnern heißt verändern“ gegen institutionellen Rassismus und rechte Gewalt auf die Straße. In verschiedenen Blöcken schlossen sich zahlreiche Organisationen und linke Gruppen der bundesweiten Demonstration an. Teilnehmer*innen waren teils aus dem gesamten Bundesgebiet angereist.

Vom 22. bis zum 26. August 1992 griffen Neonazis und rechte Jugendliche unter dem Beifall zahlreicher Zuschauer*innen und Anwohner*innen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber*innen (ZAst) und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innenim sogenannten Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen an.
Seit Wochen waren die Zustände in der ZAst katastrophal.
Die Menschen hatten keinen ausreichenden Zugang zu Sanitäreinrichtungen, Wasser und essen. Es fehlten Unterbringungsmöglichkeiten und ausreichend Personal, um die Asylanträge zu bearbeiten. Asylsuchende mussten deshalb vor dem Haus auf der Straße übernachten.

Bild: LZO

Einige Tage vor den Angriffen kündigten Anonyme Anrufer in der lokalen Tageszeitung Ausschreitungen gegen die Asylsuchenden an. Der Ausländerbeauftragte der Stadt, Wolfgang Richter, nahm aufgrund der Bedrohungslage Kontakt mit der Landesregierung auf. Diese ignorierte jedoch eine eintreffende Warnung und sah keinen Anlass zum Handeln.
Infolgedessen kam es tagelang zu gewaltsamen, rassistischen Angriffen auf Asylbewerber*innen, insbesondere Rom*nja.

Am 24. August kam es zum Höhepunkt der Eskalation. Die Bewohner*innen der ZAst wurden auf andere Einrichtungen des Landes verteilt, jedoch entlud sich jetzt der Hass, Gewalt und Rassismus an den ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen im Nachbarhaus. Nachdem sich tausende Neonazis und Zuschauer*innen versammelt hatten und sich die Polizei zurückzog, begannen zahlreiche Personen Brandsätze zu werfen und über die Balkone in das Haus einzusteigen.

Unter tosendem Applaus und lauten „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ Rufen demolierten die ins Haus eingedrungenen Personen die einzelnen Zimmer. Einzelne traten auf die Balkone und zeigten stolz Hitlergrüße, was mit „Sieg Heil“-Rufen beantwortet wurde.
Das Haus brannte und etwa 140 Menschen befanden sich in Lebensgefahr.
Von den umstehenden Menschen wird die Feuerwehr an den Löscharbeiten behindert.
Die etwa 140 Menschen konnten sich durch Notausgänge über das Dach in das Nachbarhaus retten. Es scheint wie ein Wunder, dass alle Menschen an diesem Abend überlebt haben.

Die Gesellschaft, Politiker*innen und auch Teile der Medienlandschaft sind mitverantwortlich für die Entstehung des Pogroms. Auch die Behörden, insbesondere die Polizei, haben eine große Mitverantwortung für die Gefährdung der Geflüchteten, den Hass und die Hetze.
Lichtenhagen war kein Einzelfall. Auch in den folgenden Jahren kam es zu zahlreichen rassistischen Angriffen, Morden und Brandanschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte.

5000 Menschen beim Gedenken

Am 27. August versammelten sich zum 30. Jahrestag des rassistischen Pogroms laut Veranstalter*innen 5000 Menschen zu einer bundesweiten Demonstration. Bereits in der Woche davor fand eine Gedenkwoche mit verschiedenen Veranstaltungen statt. Auch der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legte am 25. August gemeinsam mit Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zum Gedenken Sonnenblumen am Sonnenblumenhaus nieder.

Ein Gedenkbündnis bestehend aus vorwiegend lokalen und regionalen Organisationen, Initiativen und Gruppen hatte bundesweit zu einer Gedenk-Demonstration aufgerufen. Auf einem Parkplatz gegenüber vom Sonnenblumenhaus fand die Auftaktkundgebung statt.
Bereits zu Beginn wurde deutlich, dass die Perspektiven der Betroffenen bei der Demonstration im Mittelpunkt stehen sollten.

Den ersten Redebeitrag hielt die aus Rumänien stammende Romni Izabela Tiberiade. Wie die taz berichtete, war es das erste Mal überhaupt, dass eine direkte Angehörige der Opfer beim Gedenken zu Wort kam.

Bild: LZO

Neben zahlreichen Organisationen und Initiativen, wie beispielsweise der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA), „Aufstehen gegen Rassismus“ und zahlreichen weiteren antirassistischen Gruppen, nahm auch ein Antifa-Block an der Demonstration teil. Dieser trug zwei meterlange Seitentransparente mit den aufgemalten Schriftzügen „Die Pogrome von morgen verhindern!“ und „Antifaschistischer Selbstschutz“.
Angeführt wurde der Block von schwarz gekleideten Antifaschist*innen, die eingehakt die erste Reihe vor einem Hochtransparent mit der Aufschrift „Rechte Kontinuitäten brechen!“ bildeten. Nach der zweiten Zwischenkundgebung entrollte der Block ein großes „Nazis aufs Maul“ Banner über ihren Köpfen, welches von den umliegenden Häuser deutlich zu sehen war.

Die Demonstrationsleitung hatte zu Beginn der Demonstration darum gebeten, keine Pyrotechnik zu zünden, aus Rücksicht vor den Betroffenen und um Retraumatisierungen zu vermeiden. Trotz dessen wurden neben dem Antifa-Block zwei rote Rauchtöpfe gezündet. Sofort versuchten einige Teilnehmer*innen mit ihren Füßen und Wasserflaschen den Rauchtopf zu löschen.

Bild: LZO

„Jeder weiß, was hier passiert ist, darf nie wieder geschehen“, hieß es im Redebeitrag von Romano Sumnal (sächsischer Verband der Sinti*zze und Rom*nja), „Über unsere Opfer, ihre Ausgrenzung und ihr Leid ist wenig bekannt.“ Rom*nja seien besonders betroffen von den Verschärfungen der Asylpolitik in den 90er Jahren gewesen, auch die Bewohner*innen des Sonnenblumenhauses wurden größtenteils abgeschoben.
Doch nicht nur der Antiziganismus wurde in den Redebeiträgen thematisiert. Das Pogrom sei ebenfalls ein „Höhepunkt, antiasiatischen Rassismus“ gewesen, der bis heute andauere.

Bild: LZO

Das Gedenkbündnis fordert von Politik, Medien und der Gesellschaft das rassistische Pogrom endlich als solches zu bezeichnen. Zusätzlich dazu brauche es ein Abschiebestopp und Bleiberecht für Rom*nja und alle Betroffenen rassistischer Gewalt, eine Auflösung aller Sammellager und eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten sowie eine Umbenennung des Neudierkower Wegs in Mehmet-Turgut-Weg.
Lichtenhagen sei kein Einzelfall gewesen, rechter Terror müsse endlich konsequent bekämpft werden.

Während in Rostock-Lichtenhagen die Gedenkwoche stattfand, kam es in Leipzig-Grünau zu mehreren Brandanschlägen auf u.a. eine Geflüchtetenunterkunft und einen migrantisch geprägten Kindergarten.
Dies zeigt, dass die rassistische Gewalt bis heute Kontinuität hat und dass der Kampf gegen rechten Terror auch weiterhin geführt werden muss.
Das haben sich unter anderem die Teilnehmer*innen der Großdemonstration zur Aufgabe gemacht.

Bild: LZO

LZO Redaktion

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