Demonstration gegen Abschiebegefängnis10 Minuten Lesezeit

Bei sommerlichen Temperaturen trafen sich am Samstagmittag des 13. Mai etwa 300 Demonstrierende am Hafen der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Glückstadt im Kreis Steinburg, um gegen das seit fast zwei Jahren bestehende Abschiebegefängnis zu protestieren. 

Die Demonstration wurde von der Kampagne „Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo!“ organisiert. Diverse Bündnisse und Initiativen, die sich für die Rechte von Geflüchteten engagieren nahmen teil. Hauptgegenstand der Kritik für die Demonstrierenden sind die regierenden Parteien, Landes- und Justizministerien, welche für den Betrieb und den Vollzug der Abschiebungshaft verantwortlich sind.

Bild: Esther Zaim

Die verschiedenen Bündnisse und Organisator*innen der Demonstration werfen der schleswig-holsteinischen Landesregierung die perfide Taktik vor, Abschiebungseinrichtungen in provinzielle Regionen mit wenig Bevölkerungsdichte zu verlagern, um die öffentliche Sichtbarkeit zu minimieren und ihre rhetorischen Bemühungen die Internierungs- und Abschiebepolitik für die öffentliche Wahrnehmung zu beschönigen und zu verharmlosen, in dem sie Begrifflichkeiten wie „Förderung freiwilliger Ausreise“ und „Rückkehr- und Perspektivberatung“ für geplante und durchgeführte Abschiebungen aus der BRD nutzen. Der erste Redebeitrag der Auftaktkundgebung begann mit der scharfen Kritik am aktuellen Betrieb der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt, welche von der schwarz-grünen Landesregierung Schleswig-Holsteins als „Wohnen minus Freiheit“ und als eine „humane Haftanstalt“ bezeichnet wird.

Die Organisator*innen und Unterstützer*innen kritisieren dabei den Zynismus und die Verharmlosung dieser Begriffe, da es aus ihrer Sicht generell keine Haftanstalten geben kann, die human genannt werden können, denn inhaftierte Menschen werde die Freiheit entzogen und wie beispielsweise in der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt der Gefahr ausgesetzt, in ihren Herkunftsländern in prekären Umständen leben zu müssen oder umgebracht zu werden.

Bild: Esther Zaim

„Eine sechs Meter hohe Mauer, Schließzeiten, ein vergitterter Innenhof, sowie eine Isolationszelle mit Fixieroption für Inhaftierte haben nichts mit wohnen zu tun.“

so eine Rednerin bei der Demonstration

Inhaftierte würden oft unter psychischen Problemen durch den Freiheitsentzug, ungerechte Behandlung und zermürbende Hoffnungslosigkeit leiden. Regelmäßige Hungerstreiks und Ausbruchsversuche würden die Verzweiflung der Inhaftierten aufzeigen. Am Beispiel des aktuell inhaftierten jungen Mannes Neamah, welcher zurzeit schwer psychisch erkrankt ist, zeige sich die menschenunwürdige Haft. Er wird zeitweise in eine sogenannte „Beobachtungszelle“ verlegt, anstatt ihm professionelle medizinische und psychische Hilfe zu gewährleisten. Bald soll er über Belgien in den Irak abgeschoben werden. Abschiebehaft, die Abschottung der EU-Außengrenzen und de Kriminalisierung von Seenotrettung betrachteten die Demonstrierenden als eine Schikane, als unmenschlich und grausam sowie einen offen rassistischen Kampf gegen Migrant*innen. 

Bild: Esther Zaim

Die Demonstration zog anschließend nach einem kleinen musikalischen Beitrag vom Bereich des kleinen Hafens auf den Marktplatz. Dort gab es Redebeiträge von Aktivist*innen und Migrant*innen und weitere kurze musikalische Einlagen.
Die Redner*innen berichteten von etlichen durchgeführten Abschiebungen in Krisen- und Kriegsregionen wie dem Senegal, Libyen, der Türkei, Ghana und Algerien aber auch in Balkanstaaten. Bereits 200 Menschen waren in der glückstädter Abschiebungshaftanstalt inhaftiert, manche nur einige Tage, andere mehrere Monate. Laut gesetzlicher Grundlage darf ein Mensch bis zu 18 Monaten in Abschiebehaft festgehalten werden.

Die Organisation „Besuchsgruppe Glückstadt“ berichtete von ihrer aktiven Unterstützung für inhaftierte Menschen. So vermitteln sie rechtliche Unterstützung, betreiben Öffentlichkeitsarbeit, organisieren Kleidung und die Versorgung mit Produkten des alltäglichen Bedarfs. Auch die Kämpfe innerhalb des Gefängnis werden von der Gruppe solidarisch unterstützt.

Bild: Esther Zaim

Zwei geflüchtete Menschen berichten über die jahrelangen, mühsamen und erschöpfenden juristischen Konflikte mit den Migrationsbehörden und die ständige Angst vor der Abschiebung in eine ungewisse Zukunft für ihre Familien und sich. Ahmad, Aktivist der Seebrücke und selbst Geflüchteter aus Syrien berichtet in seinem Redebeitrag über die gefährlichen Fluchtrouten über das Mittelmeer und den Balkan, die oftmals unterlassene Hilfeleistung der europäischen Küstenwachen und die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung. Er informierte über die demütigenden, körperlichen Untersuchungen in den Erstaufnahmezentren für Migrant*innen unter kompletter Missachtung der psychischen Belastungssituationen der geflüchteten Menschen. Er rief zur aktiven Solidarität mit der Situation der Migrant*innen auf.

Das Café Exil aus Hamburg machte auf den institutionellen Rassismus in deutschen Behörden und die Mehrfachbelastung von Migrant*innen aufmerksam. Diese müssten ihren belastenden Alltag zwischen der Versorgung ihrer Familien, dem Erbringen bürokratischer Dokumente und diverser Zeugnisse für die Migrationsbehörden sowie dem alltäglichen Kampf, sich finanziell abzusichern, ohne in die Kriminalität zu gleiten, bewältigen. 

Der Demozug formierte sich dann erneut und lief geschlossen vor das Abschiebegefängnis, welches im Gebäudekomplex einer ehemaligen Marinekaserne eingerichtet wurde. Mit lautstarken Parolen, wie „Jin, Jiyan, Azadî“ und „stop deportations“ versuchten die Demonstrierenden die Insass*innen akustisch zu erreichen. Dort angekommen winkten und lachten verspottend und herablassend aus dem gesicherten Eingangsbereich einige Vollzugsbeamt*innen den Demonstrant*innen zu und ließen ihre ablehnende Haltung gegenüber der Demonstration erahnen. Die Demoteilnehmer*innen hängten Transparente mit den Aufschriften „Freiheit für die politischen Gefangen“, „Abolish Frontex“ und „Refugees welcome“ an den videoüberwachten Außenzaun der Abschiebehaftanstalt.

Es wurden weitere Redebeiträge gehalten unter anderem über den Fall von Neamah, welcher als politischer Verfolgter im Irak bereits lebensgefährlichen Angriffen ausgesetzt war und dessen Asylgesuch in Belgien abgelehnt wurde. Er kam daraufhin nach Deutschland und stellte auch hier einen Asylantrag, jedoch auch ohne Erfolg. Er sitzt nun in Glückstadt in Abschiebehaft und soll bald in den Irak abgeschoben werden, wo ihm Lebensgefahr droht.
Vor dem Knast wurde ein Telefonat mit einem aktuell Innhaftierten geführt, welcher von seiner belastenden Situation im Gefängnis und der bevorstehenden Abschiebung berichtete und der Solidarität der Demonstrierenden seinen Dank aussprach, die ihm mental eine große Stütze sei.
Aktivist und Filmemacher Steve betonte die Notwendigkeit der ungebrochenen und energischen Solidarität und den unnachgiebigen Kampf für das Überwältigen der Abschottungspolitik und für Freiheit, den Kampf gegen Rassismus und den kollektiven Widerstand gegen kapitalistische und neokoloniale Herrschaftszustände. Die Demonstration löste sich am späten Nachmittag vor dem Abschiebegefängnis auf.

Esther Zaim

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