CSD in Winsen7 Minuten Lesezeit

Winsen (Luhe) ist eine Stadt, in der nur selten Demonstrationen stattfinden. Trotz dessen fanden sich am 9. September über 300 Personen, um für die Rechte queerer Menschen zu demonstrieren. Bei über 30 Grad versammelten sich die Teilnehmer*innen zum ersten sogenannten Christopher Street Day (CSD) in der Stadt.

Bild: Rio Turner

Nicht nur auf Bannern, die beispielsweise Solidarität mit Rojava bekundeten, sondern auch in den Reden zeigte sich der deutlich politischere Charakter der Demonstration, als bei Pride-Paraden besonders in großen Städten. Sowohl die feministische Organisation EFRAS-Hamburg, die Jugendgruppe „Revolution“, als auch die Mitorganisator*innen „Winsen Luhe against Nazis“ ergriffen das Mikrofon, um über Polizeigewalt gegenüber queeren Personen, den aufkommenden Rechtsruck, Antifeminismus, die Geschichte des CSD, Alltagssexismus und Transfeindlichkeit zu sprechen. Auch Redner*innen der Pride Lüneburg und des Organisationsteams kamen bei einer Zwischenkundgebung zu Wort.


Während zu Beginn verlesen wurde, was auf der Demonstration zu beachten sei, fiel ein Punkt besonders auf. Während auf einigen Festivals und Konzerten Regelungen wie „no shirt, no service“ üblich sind, sahen dies die Veranstalter*innen des CSDs in Winsen anders.
„Freie Oberkörper haben nichts mit Sexualität zu tun und wir stellen uns gegen Sexualisierung von menschlichen Körpern, weshalb freie Oberkörper erlaubt sind. Aber bitte achtet auf euer Umfeld. Nicht jede*r möchte euren Schweiß spüren“, hieß es dazu von den Organisator*innen.

Im Einzelgespräch erklären sie, dass durch „no shirt, no service“ oder ähnliche Regelungen der menschliche Körper entnormalisiert würde und der jahrelange Kampf zur Normalisierung von Brüsten und weiblich gelesenen Nippeln „gegen die Wand gefahren“ würde. Die beliebteste Erklärung sei, dass es übergriffig ist, sein Shirt auszuziehen, was den Oberkörper an sich sexualisiere. Außerdem würden vor allem Männer ihre Macht demonstrieren wollen. Macker würden allerdings Macker bleiben, egal ob mit oder ohne Shirt. Ebenfalls könne man die Freiheit der Einen nicht durch die Einschränkung der Anderen hervorrufen. 

Reinigung eines Stolpersteins

Gut 15 Minuten nach Start der Demonstration wurde eine Zwischenkundgebung abgehalten. In der Bahnhofstraße wurde der Stolperstein für Ernst Meincke gereinigt. Währenddessen wurde über sein Leben während der NS-Zeit berichtet. Eine anschließende Schweigeminute wurde allen queeren Menschen gewidmet, die vom NS-Regime verfolgt wurden. Außerdem gedachten die Demonstrant*innen auch allen aufgrund von Queerfeindlichkeit Ermordeten in der heutigen Zeit. Die ansässige antifaschistische Gruppe „Winsen Luhe against Nazis“ hat angekündigt, die Stolpersteine in der Stadt auch in Zukunft besser pflegen zu wollen. Von Passant*innen wurde das Reinigen der Stolpersteine sehr positiv aufgenommen. Einzelne berichteten, dass sich seit Jahren niemand mehr um die Stolpersteine gekümmerte hätte und es schön sei, dass sich jemand dieser Aufgabe angenommen habe.

Bild: Rio Turner

Tanzmusik am Schlossplatz 

Beim Eintreffen der Demonstration am Schlossplatz wurde von den Organisator*innen Rauch in Regenbogenfarben gezündet, um die Sichtbarkeit der Community zu unterstreichen. Auf der Bühne des Schlossplatzes stand schon die Band „Groovy Greetings“ bereit, welche beliebte Coversongs spielte und zwischendrin Pause für Reden ließ. Außerdem wurde das „Bunte Sofa“ vorgestellt, was eine Anlaufstelle für queere Jugendliche in Winsen ist. Durch spontane Absagen waren nur zwei Stände beim Endkundgebungsort vor Ort. Zum einen zeigte der „Checkpoint queer“ aus Lüneburg und zum anderen das „Egons“, das Jugendhaus, in dem sich das „Bunte Sofa“ jeden Mittwoch trifft, Präsenz.
Nach „Groovy Greetings“ spielte die Salsa-Band „Los Zorros“, welche deutlich mehr Menschen dazu brachte, das Tanzbein zu schwingen und so den Abend ausklingen zu lassen.

Zwischenfälle 

Im Vorfeld der Demonstration kam es zum Diebstahl einer Prideflag. Am Tag vor dem CSD wurde am Rathaus eine Prideflag gehisst, welche direkt in der gleichen Nacht gestohlen wurde. Der Bürgermeister ordnete sofort an, eine neue Fahne zu hissen.
Zusätzlich zu diesem Vorfall wurden Plakate für den CSD abgerissen und teilweise verbrannt. Außerdem fiel eine Vielzahl neuer eindeutig rechter Sticker auf.

Bei der Demonstration blieb es insgesamt ruhig. Beim Aufbau der Stände und der Technik auf dem Schlossplatz kam es jedoch zu einem Übergriff durch 3 Jugendliche, die am Stand von „Checkpoint queer“ eine Prideflag zerrissen, diese bespuckten und queerfeindliche Kommentare äußerten.
Dies hielt die Veranstalter*innen jedoch nicht davon ab, deutlich für die Rechte queerer Menschen einzutreten. Auch in Zukunft wollen die Aktivist*innen aktiv bleiben und im nächsten Jahr erneut demonstrieren.

Bild: Rio Turner
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