Am 23.09.2023 fand auf Rügen der zweite Aktionstag des Aktionsbündnisses „Ende Gelände“ gemeinsam mit lokalen Initiativen statt. Hunderte beteiligten sich an einer Demonstration auf der Insel, etwa 150 Aktivist*innen blockierten stundenlang ein Pipelinelager im Industriehafen Mukran. Die Klimaaktivist*innen hatten bereits im Mai gegen den Bau des LNG-Terminals auf Rügen demonstriert (LZO berichtete).

„LNG – Leider Nicht Geil“
Im Industriehafen Mukran soll ab dem Winter 2023/24 ein Flüssiggas-Terminal der Deutschen ReGas den Betrieb aufnehmen. Über eine derzeit im Bau befindliche 50 km lange Pipeline soll das Gas quer durch den Greifswalder Bodden nach Lubmin transportiert und von dort aus ins Fernleitungsnetz eingespeist werden. Das nach Deutschland importierte fossile Gas stammt wesentlich aus den USA und wird mit der Fracking-Methode gewonnen. Fracking gilt als besonders umwelt- und klimaschädlich.
Beim Fracking werden zusätzliche Treibhausgase wie Methan freigesetzt, das noch klimaschädlicher ist als Kohlestoffdioxid. An den Förderungsorten werden laut Expert*innen ganze Ökosysteme zerstört und das Grundwasser vergiftet.
Zudem sehen Klimaaktivist*innen einen kolonialen Aspekt des Frackings, denn insbesondere Communities of Color müssten die verheerenden Umweltfolgen tragen, während fossile Konzerne wie ReGas, RWE, Uniper oder Wintershall DEA damit Profite austragen können.
Charly Dietz, Sprecherin des Aktionsbündnisses „Ende Gelände“ nennt fossiles Gas einen „Brandbeschleuniger der Klimakrise“. Das Jahr 2023 werde in die Geschichte als Beginn des Klimakollaps eingehen. „Die Hitzewellen, Waldbrände und Regenfluten, die in diesem Sommer ganze Regionen verwüstet und viele Tausend Menschen in den Tod gerissen haben, sind erst der Anfang“, so Dietz weiter. Es sei ein Klimaverbrechen, jetzt noch am Aufbau fossiler Infrastruktur festzuhalten, weshalb man sich dem „Verbrechen“ entgegenstellen und gegen das „System der Ausbeutung (…) entschlossen, antikapitalistisch und antikolonial“ Widerstand leisten müsse.

Anträge für Baustopp ablehnt
Die Umweltorganisation “Nabu” und die Deutsche Umwelthilfe hatten beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig jeweils Anträge für einen Baustopp des Terminals eingereicht. Laut ihnen und einigen weiteren Umweltorganisationen sei eine Beschädigung der unter Naturschutz stehenden Riffe an der Küste Rügens durch eventuelle Baggerarbeiten nicht zweifelsfrei ausgeschlossen. Außerdem sei das zusätzliche Flüssiggas eine nicht notwendige Überproduktion und eine Gefährdung des Tourismus auf der Insel.
Laut Milena Pressentin von der Deutschen Umwelthilfe drohe durch den Bau der Pipeline und des LNG-Terminals die Zerstörung des ökologischen Tafelsilbers in der Ostsee. Leidtragende seien nicht nur gefährdete Arten wie Ostseeheering, Schweinswal, Kegelrobbe oder Eisente, sondern auch die Bewohner*innen der Insel Rügen. „Dieser unvergleichliche Naturraum droht zu einem Standort schmutziger Industrie zu werden“, so Milena Pressentin weiter, „der energiepolitisch unnötige und klimapolitisch verheerende Bau muss deshalb sofort gestoppt werden“.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig lehnte beide Anträge ab. Als Begründung führten sie hierbei eine Einschätzung der Bundesnetzagentur an, nach der von einem Fortbestehen der Energieversorgungsengpässe in der nächsten Heizperiode auszugehen sei und in Zukunft mit einem erhöhten Bedarf an Einspeisungsmöglichkeiten für LNG zu rechnen wäre.

LNG-Terminal energiewirtschaftlich nicht notwendig
Seit längerem weist das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) darauf hin, dass der geplante Bau von LNG-Terminals energiepolitisch nicht notwendig sei, sondern durch Überkapazitäten aufgebaut würden.
Klimapolitisch seien die Terminals besonders kritisch zu bewerten, da durch die Verbrennung von fossilem Gas nicht nur die CO2-Emissionen steigen, sondern auch bei Förderung und Transport zusätzliche Treibhausgas-Emissionen entstehen.
Prof. Dr. Christian von Hirschhausen (DIW) erklärt dazu: „Das fossile LNG-Projekt Mukran ist energiewirtschaftlich nicht notwendig und wird nicht dringend für die Versorgungssicherheit im Winter 2023/24 benötigt. Das Projekt ist klimapolitisch nicht sinnvoll, da es den Lebensraum der Ostsee gefährdet, zusätzliche klimaschädliche Emissionen verursacht und eine nachhaltige regionale Wirtschaftsentwicklung auf Rügen behindert. Die Bundesregierung sollte den Ausbau von LNG-Infrastruktur stoppen und die verfügbaren Finanzmittel für energiewende-kompatible Projekte verwenden.“
Um sich dem Bau des LNG-Terminals entgegenzustellen, haben sich lokale Initiativen und bundesweite Gruppen vernetzt und den Aktionstag gegen LNG auf Rügen geplant.
Hunderte Aktivist*innen in Klima-Camp
Zahlreiche Aktivist*innen versammelten sich ab Mittwoch, dem 20. September, zu einem „Klima- und Vernetzungscamp“ auf dem „LebensGut“ Frankenthal. Dort fand ein vielfältiges Programm mit Workshops, Vorträgen und Diskussionen statt, die zum Austausch und der Vernetzung dienen sollten. Hier wurde außerdem gekocht und die Kinderbetreuung organisiert, die während der Demonstration und Aktionen stattfand.
Ab dem 22. September startete ein zweites Camp, dass die Aktivist*innen das „Cliff-Camp“ nannten, da es in unmittelbarer Nähe zum Meer stand.

Demonstration „Gemeinsam gegen LNG“
Von beiden Camps aus machten sich am 23. September hunderte Aktivist*innen auf den Weg nach Sassnitz, wo mittags die zentrale Demonstration gegen das LNG-Terminal vor Rügen startete.
Neben zahlreichen teils bundesweit angereisten Aktivist*innen nahmen auch viele lokale Klimaaktivist*innen und Anwohnende am Protest teil. Organisiert wurde die Demonstration von der Bürgerinitiative „Lebenswertes Rügen“, „Fridays for Future Rügen“ und dem Aktionsbündnis „Ende Gelände“.
Bei der Auftaktkundgebung wurden verschiedene Redebeiträge gehalten und Musik gespielt.
Mehrere lokale Klima- und Umweltaktivist*innen sowie Anwohnende sprachen über die lokalen Herausforderungen und den gemeinsame Kampf für eine lebenswerte Welt und ein lebenswertes Rügen.



Beim Eintreffen zahlreichen Aktivist*innen wies die Polizei sehr deutlich auf das herrschende Vermummungsverbot hin und hielt auch mehrere Personen auf, die ihre Vermummung nicht sofort ablegen wollten.
Als sich die Demonstration zum Start aufstellte, fingen hunderte Aktivist*innen im hinteren Teil des Aufzugs an, weiße Maleranzüge überzuziehen.
Im „Ende Gelände“-Look aufgestellt, blockierte die Polizei den Beginn der Demonstration, da sie die Kapuzen der Maleranzüge in Kombination mit Masken oder Schlauchschals als Vermummung wertete.
Nachdem diese anfänglichen Startschwierigkeiten überwunden waren, zog der Aufzug vorne bunt und hinten komplett in weiß lautstark los.




Auf der kilometerlangen Route bis zum Industriehafen Mukran, wo die Zwischenkundgebung stattfinden sollte, wurden erneut verschiedene Redebeiträge gehalten und der Rapper „Sechser“ von „Teuterekordz“ trat als Überraschungsgast auf.
Für einen kurzen Konflikt mit der Polizei sorgte ein Teilnehmer, der in Neoprenanzug und mit Schwimmflossen im Rucksack am Protest teilnahm. Kurzzeitig wurde er von mehreren Polizist*innen rausgezogen und schließlich auf den Boden gedrückt.
Als diese jedoch bemerkten, dass sie selbst nicht wussten, was sie dem Teilnehmer vorwerfen wollten, ließen sie ihn wieder laufen.

Aktivist*innen blockieren Pipelinelager
Insgesamt ohne weiteren Schwierigkeiten erreichten die Klimaaktivist*innen den Industriehafen Mukran, wo sich bereits einige Polizeikräfte formiert hatten.
Von einem Moment auf den anderen bog der Lila-Finger (Ein Finger ist eine Gruppe bestehend aus Aktivist*innen, die meist gemeinsam versucht, ein Aktionsziel zu erreichen. Häufig sind die Finger farblich gekennzeichnet.) der „Ende Gelände“-Aktivist*innen in eine Seitenstraße zu gelagerten Pipelines und durchbrach dabei eine Polizeikette.
Die überfordert wirkende Polizei brauchte einige Minuten, um ihre Kette auf Straße stabil zu halten, da waren die etwa 150 durchgebrochenen Aktivist*innen bereits in das Privatgelände eingedrungen und hatten sich auf die aufgestapelten Pipelines gesetzt.




Der Türkise Finger von „Ende Gelände“ hatte in der Zeit einen Zaun auf der anderen Seite der Straße überwunden und war auf dem Weg in Richtung Hafengelände.
Die Polizei stoppte die Aktivist*innen jedoch, weshalb diese später wieder umkehrten.



Für mehrere Stunden blockierte „Ende Gelände“ das Pipelinelager im Industriehafen und erreichte damit eines der Aktionsziele für den Tag.
Währenddessen lief eine Zwischenkundgebung der angemeldeten Demonstration.
Als sich der Demonstrationszug auf den Rückweg machte, entschlossen sich die Aktivist*innen des Türkisen Fingers, die zentrale Bundesstraße durch das Hafengelände in Sichtweite zum Pipelinelager zu blockieren.
Nach einiger Zeit verließen die Aktivist*innen des Lila-Fingers selbstbestimmt und ohne Konsequenzen das Privatgelände und schlossen sich dem Türkisen-Finger an.
Gemeinsam zogen die Aktivist*innen zurück bis zum Cliff-Camp und beendeten damit ihren Aktionstag.


„Wir sind unglaublich wütend. Denn hier auf Rügen zerstören die deutsche Regierung und deutsche Energiekonzerne unsere Zukunft. Der Bau von LNG-Terminals für den Import von noch mehr fossilem Gas heizt die Klimakrise weiter an. Die Folgen liegen auf der Hand: neue Hitzewellen, noch größere Regenfluten, noch mehr Zerstörung, noch mehr Tote. Auf Rügen protestieren viele Menschen seit Langem gegen diese LNG-Pläne. Auch auf der anderen Seite des Atlantiks, wo das Gas durch Fracking aus dem Boden gepresst wird, leisten Menschen Widerstand. Mit ihnen gemeinsam stellen wir uns den Klimaverbrechen der fossilen Konzerne entgegen. Wer auf Rügen, in Lubmin, Brunsbüttel oder anderswo in fossile Infrastruktur investiert, muss mit uns rechnen: Wir sind das Investitionsrisiko.“
Charly Dietz, Pressesprecherin „Ende Gelände“
Weitere Proteste angekündigt
Die Aktivist*innen haben angekündigt, dass der Aktionstag erst der Beginn verschiedener gemeinsamer Aktionen sei. Gemeinsam mit Anwohnenden und lokalen Aktivist*innen werde man auch in Zukunft protestieren und auch erneut Zivilen Ungehorsam als Mittel gegen die Zerstörung von Klima und Natur durchführen.
Was fest steht: Den Bau des LNG-Terminals werden die verschiedenen Gruppen nicht widerstandslos zulassen.
