Besetzter Hörsaal: Eskalation in Aussicht?6 Minuten Lesezeit

Am letzten Mittwoch wurde an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ein Hörsaal besetzt, um für den Erhalt des in Deutschland einzigen Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte zu protestieren (weitere Hintergründe hier).
Nachdem bis gestern keine Räumung abzusehen war, ist sie heute näher als erwartet. Grund dafür ist ein plötzliches Brechen der Abmachungen durch die Universität.
Anstatt weiter auf konstruktiven Dialog zu setzen, wurden die Besetzer*innen in einem Schreiben aufgefordert, den Hörsaal bis Dienstag 12 Uhr zu räumen. Die Leitung der Universität droht, die Verhandlungen platzen zu lassen, sollten die Aktivist*innen den Saal nicht räumen. Von dieser plötzlichen Eskalation durch die Universität lassen sich die Studierenden jedoch nicht beeindrucken. Für 11:45 Uhr wurde zu Solidaritätsaktionen aufgerufen.

Bild: Provinz Report


Am Mittag kamen rund 600 Menschen zu einer Vollversammlung zusammen und setzten ein klares Zeichen. Auch mit einer Petition positionierten sich mehr als 3000 Menschen für den Erhalt des Lehrstuhls. Die hunderten Studierenden im Hörsaal haben trotz der Aufforderung der Universität den Saal nicht geräumt.
Sie würden die Besetzung erst räumen, wenn die Verhandlungen beendet sind.
Die Studierenden positionierten sich in Redebeiträgen gegen den Rechtsruck und für mehr finanzielle Unterstützung von Studierenden.

Die AfD hatte zu einer Kundgebung aufgerufen, um sich gemeinsam mit der „Jungend Alternativen“ gegen die Besetzung zu stellen. Durch den Aufruf der rechten Partei und die Drohung der Universität war eine Eskalation vorprogrammiert. So rissen schließlich einige der 15 Teilnehmer*innen der AfD-Kundgebung ein Schild mit der Aufschrift „Besetzt“ am Hörsaal herunter und versuchten in den Saal zu gelangen. Ihnen wurde jedoch der Zugang verwehrt.


Auch die heutige Veranstaltung wurde durch basisdemokratische Entscheidungen geleitet. So wurde zum Beispiel beschlossen, dass ein Sprecher des Präsidiums nur das Wortrecht erhält, wenn danach Fragen beantwortet werden können.
Das Präsidium kam dieser Forderung nicht nach und verließ den Saal.
Draußen wurde in einem Gespräch versichert, dass man hoffe, die Situation friedlich lösen zu können. Außerdem werde am heutigen Tag keine Räumung stattfinden.
Es wird nun versucht die allgemeinen Verhandlungen um die Forderungen weiterzuführen. Die Studierenden haben ihre Fragen ans Präsidium gesammelt und wollen diese zum Gegenstand der weiteren Verhandlungen machen.

Bild: Provinz Report


Eine der Forderung der Besetzer*innen ist auch, einen Ausgleich zwischen Lehrkräften und Studierenden bei Abstimmungen an der Universität zu schaffen. Mit nur 2 von 17 Stimmen werde der Meinung der größten Gruppe an der Universität nicht ausreichend Beachtung geschenkt, was eine undemokratische Abstimmung zur Folge hätte. Im Allgemeinen liegt der Schwerpunkt der Verhandlungen auf dem Erhalt aller Lehrstühle. Bevor der Beschluss über das Ende von Geschlechtergeschichte gefasst wurde, gab es eine Abstimmung, ob Mittellatein oder Geschlechtergeschichte gestrichen werden sollte.
Wie es zu dieser Entscheidungsnot zwischen beiden Lehrstühlen kam, ist für die Studierenden nicht ersichtlich.
Die weiteren Forderungspunkte wurden in den bisherigen Verhandlungen nicht ausreichend besprochen, was mit einem ausgewogenen Fragenkatalog in kommenden Gesprächen behoben werden soll.


Bundesweit haben sich zahlreiche Organisationen solidarisch mit dem Protest gezeigt. Auch an anderen Universitäten in Deutschland werden aktuell Hörsäle besetzt. So beispielsweise heute in Frankfurt, wo Aktivist*innen mit ihrer Aktion ein Zeichen für Klimagerechtigkeit setzen wollen.
Bis die Verhandlungen abgeschlossen sind, wird die Besetzung voraussichtlich bestehen bleiben. Das konnte nur durch den entschlossenen Protest der Studierenden erreicht werden. Die ausfallenden Vorlesungen finden derweil online statt.
Der Hörsaal ist weiterhin für alle offen, die sich der Besetzung anschließen oder am selbstorganisierten Programm teilnehmen wollen.

LZO Redaktion

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