Auf der Straße, aus dem Sinn: Die Rechten, die Pandemie und das Scheitern des linken Protestes22 Minuten Lesezeit

Ein Gastartikel von Jakob Oehler

Bedrohliche Vernetzungen ohne Kontraperspektiven

Mit den explodierenden Inzidenzen, kehrt die Bewegung aus Coronaleugner*innen und Neonazis gestärkt und zahlreich auf die Straße zurück. Wöchentlich gleichzeitig stattfindende Aktionen, einer sich immer weiter radikalisierenden Szene, überfordern offenbar nicht nur Polizei und Politik. Es ist mehr als eine verpasste Chance – es ist eine scheinbar aus den Augen verlorene Notwendigkeit, dass progressive Gruppen, diesen Gruppen und der aktuellen Krise in vielen Städten inhaltlich etwas entgegensetzen sollten.

Menschen und Kliniken sind am Limit:

Aktuell ist die Corona-Situation in einigen Landkreisen in Deutschland außer Kontrolle. Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz beträgt 488,4 (Stand: 02.12.), im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge liegt die 7-Tage-Inzidenz bei über 2200, wobei die Zahlen täuschen, da die Gesundheitsämter komplett überfordert sind. In Halle beträgt sie derzeit 714,7. Kliniken sind überlastet und überbelegt, in Halle steht die Ampel-Farbe der Kliniken auf gelb, das bedeutet, „die Krankenhäuser sind aufgrund der Covid-19-Behandlungen und bedingt durch pandemiebedingte Personalausfälle gezwungen, auch dringliche Behandlungen von Nicht-Covid-19-Patienten erheblich einzuschränken“.

In anderen Kliniken mussten bereits Patient*innen per Helikopter verlegt werden. Die neue OMIKRON-Variante, vermutlich in Europa entstanden und erstmals in Südafrika festgestellt, könnte die Pandemie weiter antreiben. Die Regierungen haben an zahlreichen Stellen versagt. Impfinfrastruktur wurde zurückgebaut, der Impfstoff ist knapp, die Patente weiterhin unter Verschluss. Das im Oktober geschlossene Impfzentrum in Halle öffnete im gedrosselten Betrieb erneut am 29.November. Damit könnten die extrem langen Wartezeiten bei anderen Impfzentren gekürzt werden, allerdings war bereits am 2. Tag der Biontech-Impfstoff vorrübergehend aufgebraucht. Für alle Menschen unter 30 Jahren bedeutete das, vorerst keine Impfung erhalten zu können. Politische Maßnahmen werden erst jetzt länderübergreifend ergriffen. Für die über 300 Menschen, die nun täglich an bzw. mit Corona sterben, kommen diese Maßnahmen zu spät. Und das, obwohl, sich die 4. Welle schon einige Wochen vor der Bundestagswahl im September abzeichnete.

Jetzt kommen also erneut Kontaktbeschränkungen, diesmal nur für Ungeimpfte, 2G wird flächendeckeckend angewendet, Großveranstaltungen sollen beschränkt werden. Eine allgemeine Impfpflicht könnte im Februar folgen. Die Mehrheit der Maßnahmen, die in diesen Tagen ergriffen werden, sind hektische Reaktionen, auf die Reaktionslosigkeit der letzten Monate. Die Handlungslosigkeit bedeutet für viele eine erneute Isolation, Online-Lehre, ein ständiges Infektionsrisiko und die Angst, andere Menschen anzustecken. Krankenhaus- und Pflegepersonal wird in einem noch dramatischeren Maße überlastet, Kunstschaffenden wird die Existenzgrundlage genommen, häusliche Gewalt wird wieder steigen, die Perspektivlosigkeit erreicht, in mitten von zahlreichen, sich überschneidenden Krisen, einen traurigen Höhepunkt. Das ist besonders bitter, weil ein Großteil dessen hätte vermieden werden können.

Bild: Dani Luiz

Eine Szene radikalisiert sich, schon wieder! Nicht zufällig erlebt nun eine Bewegung aus Neonazis, Reichsbürger*innen, Esoteriker*innen, Verschwörungsideologen und Impfgegner*innen ein Comeback. Suchten diese Gruppen bereits vor einem Jahr bei Protesten in Berlin, Leipzig oder Kassel den Schulterschluss, treten sie jetzt erneut gemeinsam auf, und dass in vielen Städten so erfolgreich wie zuletzt in der Hochphase von Oktober 2020 bis März 2021. Eine Großdemonstration in Leipzig blieb zwar weit hinter den Erwartungen zurück, als „lediglich“ ca. 3000 Teilnehmende in Leipzig protestierten, welche aufgrund von Blockaden und Polizeiketten das gesetzte Ziel, über den Leipziger Ring zu laufen, nicht erreichten. Allerdings zeigte sich erneut ein immenses Gewaltpotenzial und eine tief verwurzelte Wissenschaftsfeindlichkeit, gepaart mit antisemitischer und faschistischer Propaganda, die sich sehr gut in den Rhythmus der Trommeln von Hippies und Esoteriker*innen, sowie den „Friede-Freiheit-Keine Diktatur“-Rufe der Impfgegner*innen fügt.

Darüber hinaus ist eine nächste Großdemonstration für den 4.12.2021 in Berlin geplant. Diese wurde mittlerweile von der Stadt Berlin verboten. Besorgniserregend ist vor allem die Mobilisierung bei lokalen Protesten, auch in kleinen Städten, die eine neue Basis schafft, für eine Ideologie, deren Gefährlichkeit regelmäßig von ihren Anhänger*innen als die einzige noch existierende Wahrheit verleugnet wird. Besonders städteübergreifende Vernetzungen, die sich in den letzten Monaten herausgebildet haben, führen zu zahlreich besuchten Demonstrationen, selbst, wenn diese nicht einmal als solche, sondern lediglich als Spaziergänge, beworben werden.

In Sachsen wird diese Vernetzung von der rechtsextremen Vereinigung „Freie Sachsen“ betrieben. Hunderte Teilnehmende in Städten wie Freiberg, Bautzen oder Zwickau sind wöchentlich am Montag keine Seltenheit mehr. Über Telegram wird der Kampf gegen das System, die Eliten und das „Impfregime“ propagiert. Berichtende Journalist*innen werden regelmäßig attackiert, wenn die Polizei einmal vorbeischaut, scheint sie meistens nicht im Ansatz an der Durchsetzung bestehender Auflagen interessiert zu sein.

Einen konstanten Gegenprotest gab es, wenig überraschend, nur in Leipzig. Mittlerweile haben die „Freien Sachsen“ 88.700 Follower in ihrem Telegramkanal. In letzter Zeit sind die Zahlen enorm angestiegen, in sozialen Medien und auch bei den Protesten, es ist allerdings auch nicht das erste Mal, dass tausende Menschen in Sachsen den Aufrufen von Rechtsextremen folgen. Die Kontinuität von Anfeindungen und Angriffen auf Wissenschaft, Presse, Politiker*innen und Menschen, jenseits der verschwörungsideologischen Blase, stellt eine konkrete Gefahr für progressive Entwicklungen dar, vereint sie doch so viel, wogegen es sich zu kämpfen lohnt.

Bild: Dani Luiz

Die Proteste leben auch in Sachsen-Anhalt wieder auf:

Dieses Phänomen beschränkt sich nicht nur auf Sachsen. Auch in Sachsen-Anhalt erhalten ähnliche Demonstrationen immer mehr Zulauf und vor allem finden sie in immer mehr Städten statt. Die Szene ist motiviert, angetrieben durch die immer realistischer wirkende Einführung einer Impfpflicht, einschneidenden Maßnahmen für Ungeimpfte und eben jenen Mobilisierungserfolgen in den großen Städten Sachsen-Anhalts, in Sachsen und im Ausland.

Am 29.11. gab es in Sachsen-Anhalt unter anderem Versammlungen in Halle, Magdeburg, Dessau, Bitterfeld, Köthen, Schönebeck, Bad Dürrenberg, Aschersleben, Naumburg, Weißenfels, Halberstadt und weiteren. In den meisten dieser Städte konnten die Teilnehmenden-Zahlen gesteigert werden. In einigen Städten gab es das erste Mal Versammlungen, es existieren bereits zahlreiche Aufrufe für die kommenden Wochen, unter anderem zusätzlich auch in Sangerhausen und Genthin.

In ihren Gruppen wird von den „letzten Monaten in Freiheit“ gesprochen, es wird sich vernetzt und gemeinsam gehetzt. Fake-News, Verschwörungstheorien und Impfgegnerschaft befeuern sich gegenseitig. In den Gruppen sind die neusten Demotermine, Restaurants, die 2G boykottieren oder gar nicht erst kontrollieren, Läden, die nicht auf die Maskenpflicht achten und manchmal auch Personen, die gefälschte Impfausweise anbieten, zu finden. Viele Gruppen können sich hinter dem Narrativ des Widerstandes vereinigen. Und wo es keine Einigung gibt, wird sich toleriert.

In Halle funktioniert diese Querfront beinahe reibungslos. Die pseudolinke Gruppierung der „Freien Linken“ um Sandra Gabriel, die immer wieder bei Großdemonstrationen auftritt, pflegt ein enges Verhältnis zur eher bürgerlich anmutenden „Bewegung Halle“. Diese distanziert sich öffentlich gerne von „jeder Form von Rassismus, Extremismus, Gewalt“. Maßnahmen gegen Ungeimpfte begründen für sie eine neue Form des Rassismus. Wenn es um die Nähe zu Neonazis geht, pflegen sie einen kooperativen Umgang. Nazis aus Halle werden auf ihren Demos geduldet, intern wird ein gemeinsames Ziel beschworen, für das auch mit Nazis gekämpft werden sollte. Ganz konkret dreht es sich dabei auch um Neonazi Sven Liebich. Dieser veranstaltet mehrere Mini-Demos pro Woche. Seine Hetze ist vielfach dokumentiert, seine faschistische Einstellung gerichtlich bestätigt.

Trotz oder gerade wegen der mangelnden Abgrenzung, verzeichnen die Gruppen aus Halle einen enormen Zulauf. Ganz zentral ist dabei die Reichweite der „Bewegung Halle“. Die Follower ihres Telegram-Kanals haben sich innerhalb von zwei Monaten auf ca. 840 verdoppelt. Allein im Zeitraum vom 27.11. bis 30.11. kamen über 200 Follower dazu. Und auch die Teilnehmenden auf den Demonstrationen haben sich innerhalb einer Woche beinahe verdoppelt, von ca. 150 auf ca. 270 Teilnehmende. Der bürgerliche Anstrich scheint einige Menschen anzuziehen.

Bild: Dani Luiz

Am Montag, den 22.11.2021 liefen sie vom Hallmarkt aus durch die Stadt und endeten am Marktplatz. Auch wenn die Gruppe Woche für Woche demonstriert hatte, erreichte sie das erste mal wieder eine klare dreistellige Teilnehmenden Zahl. Dabei werden Banner getragen wie beispielsweise „Lieber sich selbst bewegen, als bewegt zu werden“. Das Narrativ ist nicht neu sondern prägt die Szene seit ihrer Entstehung. Es dient sehr gut, um sich selbst als äußerst demokratisch und vor allem friedlich zu darzustellen. Menschen zum Nachdenken bewegen, sie befähigen selbstständig zu handeln, klingt nicht gefährlich, sondern suggeriert eine eigene Rationalität, fernab von Wissenschaft und vor allem fernab von der Politik. In den Telegram-Gruppen werden währenddessen fleißig Beiträge der rechtsextremen „Freien Sachsen“ geteilt, Fake-News, besonders zur Impfung verbreitet, die zeitweilige Schließung des Weihnachtsmarkt, die Umstellung auf ein 2G Konzept werden als „Schockstrategie“ und „bekannte Foltermethode“ deklariert und ganz schnell fallen holocaustverharmlosende Sätze wie: „Bald dürfen wir wieder ins KZ“.

Bereits am darauffolgenden Samstag, rief die Bewegung zu einer weiteren Kundgebung in Halle auf, diesmal organisiert von den „Freien Linken“. Die überregionale Mobilisierung zog auch einige Symphatisant*innen aus Sachsen an, da dort Versammlungen schon seit einiger Zeit nur noch stationär und mit einer Personenbegrenzung von 10 Teilnehmenden stattfinden dürfen. Mit dabei waren ebenso Anhänger der „Neuen Stärke Erfurt“ und Neonazi Liebich. Schon von Beginn an hatten sich sportliche Faschogruppen am Rand versammelt. Von der, in Redebeiträgen beschworenen, Abgrenzung gegen jeden Extremismus, war nichts mehr zu spüren. Später sollte diese Toleranz der extremen Rechten gegenüber damit gerechtfertigt werden, dass doch alle für das gleiche Ziel kämpfen würden. Am Riebeckplatz wurde vor ca. 300 Teilnehmenden Corona als Grippe verharmlost, die Wirkung von Impfungen geleugnet und ein neuer „Rassismus gegen Ungeimpfte“ heraufbeschworen.

Als die Demo zu laufen begann, wurden Sprüche wie: „Maske ab!“ oder „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ skandiert. Später wurde auch der, vor allem von Reichsbürgern und Rechtsextremen genutzte Slogan „Friede, Freiheit, Souveränität“ skandiert. Die Stimmung war immer wieder aggressiv. Passant*innen, die ihren Unmut äußerten, wurden nicht selten das Ziel von Beleidigungen und Drohungen. Die Pressearbeit war teilweise nicht möglich, ohne sich in Gefahr zu begeben. Als die Demonstration vom Universitätsring in die Große Ullrichstraße einbog, kam es zu einer Feindmarkierung per Megafon, als Teilnehmende der „Bürgerbewegung Leipzig“ eine berichtende Person erkannten. Ohne Maske und ohne Abstand zog die Menge über den überfüllten Marktplatz – links und rechts ein umzäunter Weihnachtsmarkt. Am Ende war es ein weiterer Erfolg für die Szene. Nicht zuletzt, weil ein derartiger verschwörungsideologischer Demonstrationszug, an dem auch Neonazis teilnahmen, ohne progressive Intervention stattfinden konnte.

Diese Woche Montag fand erneut die wöchentliche Demonstration der „Bewegung Halle“ statt, parallel zu zahlreichen weiteren Aktionen, besonders in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Als Personen Bilder der Ansammlung vor der Moritzkirche machen wollen, interveniert ein Teilnehmer und versuchte, mit seinem Handy Porträtfotos der berichtenden Personen anzufertigen. Mit Schildern wie „RKI statt Wissenschaft“ oder „Selbst denken statt Tagesschau“ wird die gleiche Route wie jeden Montag abgelaufen. Die Polizei Halle wird sich später für die kooperative Durchführung der Demonstration bei den Anmeldern bedanken. Am Markt passiert die Menge eine parallel laufende Kundgebung von Neonazi Liebich. Einige seiner Anhänger winken, einige winken aus der Menge heraus zurück. In diesen Tagen trennen die beiden Gruppen immer weniger. Man kennt sich, zumindest akzeptiert man sich. Offenbar reicht das für einen regelmäßigen, stillschweigenden Schulterschluss.

Am Ende spricht noch der Notarzt Dr. Andreas Grüner. Dieser hat in Halle eine Praxis ausschließlich für „klassische Homöopathie und Anthroposophische Medizin“. Er warnt in seinem Redebeitrag vor Impfungen und selbst vor Corona-Tests. Der Abend wird innerhalb der Gruppen gefeiert, in der nächsten Woche möchte die Gruppierung noch zahlreicher auftreten. Das ihr das gelingt ist nicht unwahrscheinlich.

Zusätzlich demonstrierten am 01.12 in Halberstadt, eine Stadt in Sachsen-Anhalt mit 39.000 Einwohnerinnen, über 1000 Coronaleugerinnen. Mit dabei waren die üblichen Narrative und neonazistische Gruppen wie die sogennante „Harzrevolte“.

Bild: Dani Luiz

Erfolge ohne Euphorie.

Trotz dieser Erfolge herrscht innerhalb der Gruppen eher wenig Euphorie. Die Umsetzung der Allgemeinen Impfplicht für Corona in Österreich schockiert und radikalisiert die eh schon aggressiv auftretenden Gruppen. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu den Maßnahmen der Bundesregierung hinsichtlich der Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen wird als ein Zeichen einer beeinflussten Justiz gewertet. Verzweifelt berichten Impfgegner*innen von Angehörigen, die sich nun impfen lassen, einige denken darüber nach, sich ins Ausland abzusetzen, einige sprechen von dem „letzten möglichen Widerstand“ vor einer Impflicht.

Obwohl die Szene wieder mehr Menschen erreicht, haben sie keines ihrer Ziele erreicht. Zwar tragen sie immer wieder zu einer Diskursverschiebung bei, politische Veränderungen ergeben sich daraus bisher eher nicht. Vielen fehlt der Plan, wie es weiter gehen soll. Dieser Umstand schafft eine neue Bedrohung aus der Szene heraus. Angriffe auf Test- und Impfzentrum gibt es immer wieder. Erst vor kurzem musste in Zittau ein Testzentrum aufgrund der hohen Gefahr für Mitarbeitende schließen. Am 20. September ermordete ein Maskengegner einen 20 Jahre jungen Mann in einer Tankstelle in Idar-Oberstein. In der 4. Corona-Welle türmt sich jetzt eine 3. Welle der Coronaleugner*innen und Faschist*innen auf. Gewaltsame Proteste in Belgien oder den Niederlanden gegen den Coronamaßnahmen werden, unabhängig ihrer Heterogenität, als Erfolge und Vorbilder gefeiert. Nach dem Motto: „die anderen Länder machen es uns doch vor!“. Für einige scheint die immer weiter ausufernde Radikalisierung der einzig mögliche Schritt zu sein.

Bild: Dani Luiz

Wo bleibt der Lerneffekt der Linken?

Nun ist all das nicht wirklich neu. Dieses Phänomen wurde in den letzten Monaten gut dokumentiert und zeigte sich beinahe wöchentlich, wenn Journalist*innen, Gegendemonstrant*innen, Politiker*innen etc. Ziel von Angriffen wurden. Das Problem liegt aber noch an einer anderen Stelle verortet. Die Kritik, die Konfrontation und die öffentliche Auseinandersetzung wird oft der Presse, Politik und der Polizei überlassen. Letztere haben jedoch meistens kein Interesse daran, intensiver gegen derartige Spaziergänge vorzugehen. Am Montag konnte ein verschwörungsideologischer Spaziergang in Chemnitz ungehindert durch die Stadt ziehen, während eine Blockade von ca. 30 Menschen schnell und unter Anwendung direkter Gewalt geräumt wurde.

Die Prioritäten dahingehend sind wenig überraschend und schon lange bekannt. Die Presse kann meist nur mit Schutz berichten. Eine Dokumentation der Geschehnisse ist ohne Anfeindungen und Angriffe oft nicht möglich. Die meisten Politiker*innen betreiben dazu eher Symbolpolitik. So hat das Innenministerium Sachsen-Anhalts sich zwar zu den Protesten kritisch geäußert, für eine polizeiliche Begleitung wird jedoch nicht oder kaum gesorgt. Sachsen Innenminister Wöller äußerte zudem, Verständnis für die Proteste zu haben und sehe keinen Sinn darin, einzuschreiten, obwohl selbst der sächsische Verfassungsschutz die „Idee des gewaltsamen Widerstandes gegen demokratische Regeln“ fest verankert sieht. Es ist mehr als eine verpasste Chance, es ist eine scheinbar aus den Augen verlorene Notwendigkeit, dass progressive Gruppen dieser Szene in vielen Städten wenig bis gar nichts entgegensetzen können.

Natürlich ist das Dilemma von der Durchführung von Versammlungen bei gleichzeitig extrem hohen Inzidenzzahlen eine berechtigte Abwägung. Dass die Inzidenzzahlen wieder ansteigen werden, war allerdings auch schon vor Monaten klar, als es noch mehr Handlungsoptionen gab. Doch ist die Gefahr von Rechts sicher nicht mit stillschweigender Reaktionslosigkeit gemindert und sie wird nicht mit der Pandemie verschwinden, im Gegenteil. Wo ist eine solidarische Positionierung, lokaler Gruppen, die die Menschen abholt, die gerade am meisten unter den Umständen der Pandemie leiden müssen. Prekäre Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern, im gesamten Pflegesektor, die geringe Priorität, bei der Pandemiebekämpfung Kinder mitzudenken, ein Kapitalismus im ständigen Krisenmodus, eine gescheiterte Corona-Politik sollten doch Anlass genug sein, den Verschwörungsideolog*innen und Neonazis sowohl Blockaden, als auch inhaltliche Grenze aufzuziehen.

Gleichzeitig sollte die Analyse dessen, was tatsächlich falsch läuft, wenn sich Widersprüche im System ergeben, sicher nicht einer von Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungen getriebenen Querfront überlassen werden. Diesen Perspektiven bedarf es, nicht nur, wenn sich regressive Gruppen die Straße nehmen. Diese Perspektiven bräuchte es immer, vor allem, wenn sich die Krisen im Kapitalismus, derart deutlich darstellen, wie in Zeiten einer Pandemie. Und dies ist auch nicht erst der Fall, seit die Inzidenzen wieder durch die Decke gehen, sondern dies war seit März 2020 zu beobachten.

Es ist längst an der Zeit, dass Solidarität praktisch wird. Eine progressive Perspektive im Klein- und Großformat findet im aktuellen Geschehen an jeder Stelle Anknüpfungspunkte. Es wäre essenziell, diese Punkte zu verbinden. Die roten Linien werden an so vielen Fronten überschritten.

LZO Redaktion

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