Antifaschistischer Protest stundenlang im Kessel9 Minuten Lesezeit

Am 1. Mai fanden in der Stadt Gera mehrere Demonstrationen statt. Zahlreiche rechte Strukturen hatten zum Protest um 15 Uhr auf dem Theaterplatz aufgerufen. Anmelder und Neonazi Christian Klar hatte unter anderem die AfD aus Gera, die „Patrioten Ostthüringen“, den neu gegründeten Verein „Aufbruch Gera“, „Freies Thüringen“ und die „Miteinanderstadt Gera“ mobilisiert. Teilnehmer*innen sollten jedoch auch aus umliegenden Städten anreisen.
Gegen die rechte Vereinnahmung des „Arbeiter*innenkampftags“ und die Raumnahme von rechten Organisationen riefen verschiedene zivilgesellschaftliche und antifaschistische Gruppen zu Protesten auf.

„1. Mai – Nazifrei“

Um 13 Uhr startete am Hauptbahnhof eine antifaschistische und antikapitalistische Demonstration unter dem Motto „Kämpfe verbinden – Kapitalismus überwinden“, zu der die „Antifaschistische Aktion Gera“ aufgerufen hatte. Zusätzlich dazu rief das „Aktionsbündnis Gera gegen Rechts“ und diverse Gewerkschaften um 14 Uhr zu einer Demonstration unter dem Motto „1. Mai – Nazifrei“ am Markt auf.

Bild: Rio Turner


Seit Monaten ist Gera eine Hochburg rechter Aktivitäten. Regelmäßig finden rechte Aufmärsche statt, es kommt zu Angriffen, Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber politischen Gegner*innen und marginalisierten Menschen.
Erst kürzlich kam es zu einer Auseinandersetzung, die schwere Verletzungen verursachte, mit bis zu 30 Beteiligten. Die Tatverdächtigen sind polizeibekannte Neonazis aus dem Umfeld der Wismut Gera Fußballfanszene.

Um den rechten Kontinuitäten etwas entgegenzusetzen, demonstrierten am 1. Mai zahlreiche Antifaschist*innen gegen den rechten Aufmarsch aus dem Umfeld der Montagsdemonstrationen.
Dem Aufruf der „Antifaschistischen Aktion Gera“ folgten laut eigenen Angaben etwa 700 Menschen. Die Demonstration richtete sich nicht nur gegen rechte Aktivitäten, sondern ebenfalls gegen Kapitalismus und soziale Ungerechtigkeiten. Mit etwas Verspätung startete die Demonstration und wurde nach nicht einmal 100 Metern gestoppt.
Als Grund nannte die Polizei die Demonstration des rechten Spektrums, die mehr als 1,5 Stunden später über die selbe Straße laufen sollte. Zur Zeit der Intervention der Polizei befanden sich gerade einmal 20 Personen auf dem Theaterplatz.

Durchbruchversuch und Polizeigewalt

Die vorherigen Absprachen der Versammlungsbehörde mit der Versammlungsleitung wurden gebrochen. Stattdessen wollte die Behörden die Demonstration durch die Bahnunterführung leiten, wo bereits am 3. Oktober eine antifaschistische Demonstration gestoppt und gekesselt wurde.
Nach Abstimmungen zwischen Versammlungsbehörde und der Versammlungsleitung wurde eine andere Route vereinbart und eine Kundgebung in der Bachgasse geplant.
Lautstark zog die Demonstration mit Parolen und Rauchtöpfen zur Bachgasse, wo etwa 20 Meter vor der spontan angemeldeten Demonstration des „Aktionsbündnisses Gera gegen Rechts“ der Aufzug erneut gestoppt wurde.


Ewig verhandelten die Behörden mit den Organisator*innen der Demonstration. Teilnehmer*innen des antifaschistischen Protests starteten einen Durchbruchsversuch, der durch massiven Gewalteinsatz der Polizei zurückgeschlagen wurde. Zahlreiche Demonstrant*innen wurden beim Polizeieinsatz verletzt. Unter anderem klagten diese über Augen- und Rachenreizungen sowie Atemprobleme durch Pfefferspray. Auch Prellungen und einzelne Platzwunden durch Schlagstöcke mussten teilweise von Demonstrationssanitäter*innen behandelt werden.
Einzelne Antifaschist*innen hatten Panikattacken oder akute Belastungsreaktionen.

Gegenprotest im Kessel

Einige Minuten später griff die Polizei erneut an, schlug auf die Demonstration ein und versuchte Banner zu entfernen. Darauf folgte ein gewaltvolles Eindringen in die Demonstration, wodurch diese in zwei Teile geteilt wurde.
Ein Teil der Teilnehmer*innen steckte ab diesem Zeitpunkt in einem Kessel der Polizei, welche begann, einzelne Personen zur Identitätsfeststellung herauszulösen.
Die Demonstrant*innen setzten sich auf den Boden und hakten sich unter, um die Räumung zu erschweren. Beim herausziehen einzelner Personen setzten die Einsatzkräfte immer wieder Schmerzgriffe ein, was wiederholt zu einigen Verletzungen führte. Sieben parlamentarische Beobachter*innen, ein Awarenessteam und Sanitäter*innen kümmerten sich um die eingekesselten Personen.


Da kein Zugang zu einer Toilette möglich war, bauten die Aktivist*innen eine Notfall-Toilette aus Schirmen und Bannern. Uringetränkte Banner sowie benutze FFP2-Masken wurden später von der Polizei zur Beweissicherung mitgenommen. Solidarische Helfer*innen brachten den Menschen im Kessel Essen, Süßigkeiten, Wasser und Wärmeschutzdecken.
Nach über 6 Stunden wurden alle Menschen aus dem Kessel und den Maßnahmen entlassen. Laut Pressemitteilung der Polizei wurden bei etwa 250 Menschen Identitätsfeststellungen durchgeführt. Nach bisherigem Stand wurden unter anderem Anzeigen wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung, Widerstand und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz aufgenommen.
Als alle Demonstrant*innen wieder vereint waren, wurde eine spontane Demonstration zum Bahnhof durchgeführt, wo die Teilnehmenden verkündeten: „Wir kommen wieder“.

Bild: Rio Turner


Mehrere Landtagsabgeordnete und antifaschistische Gruppen kritisierten die Taktik der Polizei, die dafür sorgte, dass am 1. Mai etwa 700 Personen auf einer rechten Demonstration durch Gera ziehen konnten. Antifaschistischer Gegenprotest sei dagegen kriminalisiert und angegriffen worden, so die Kritik.
Der SPD-Innenminister Georg Maier reagierte auf die Vorwürfe und verteidigte den Polizeieinsatz gegenüber dem MDR: „Die Gewalt ging von diesem schwarzen Block aus und die Polizei hat reagieren müssen.“
Sicher ist, der 1. Mai in Gera wird nicht nur für von Anzeigen Betroffenen mit weiteren Folgen verbunden sein.

Rio Turner

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[…] die Gefahr bestanden, dass sich die faschistische Demo und die Antifa-Demo begegnen könnten. Hier ein kurzer Bericht über das Geschehen in Gera am 1. Mai. Ein chronologischer Live-Ticker der […]

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[…] 1. Mai 2023 fand in Gera eine Demonstration des sogenannten Aufbruch Gera statt. Der Verein wird organisiert vom verurteilten Neonazis Christian Klar. Dagegen formierte sich […]